Eine Reise, die alles veränderte


Als Eddy Dieckmann und seine Tochter Renana 2004 in der Abflughalle des Amsterdamer Flughafens stehen, ahnen sie noch nicht, wie sehr diese Reise ihr Leben verändern wird. Als Rucksacktouristen machen sie sich auf den Weg nach Guatemala, ein Land, das sie nur aus Reiseführern kennen. Tikal, die antike Stadt der Maya in den Regenwäldern möchten sie besichtigen und in Antigua eine Spende an Freunde überbringen, die bei einer Hilfsorganisation arbeiten. Doch was dann geschieht, ahnen beide zu dem Zeitpunkt noch nicht. 

Zwei Jahrzehnte später stehen sie erneut in der Abflughalle Amsterdam-Schiphol mit einem Rucksack voll Hilfe. Für Renana und Eddy ist die Reise 2024 eine Rückkehr zu den Wurzeln ihres Engagements für die Mayas in Guatemala.

Einfach machen!

Nach ihrer ersten Reise sind Vater und Tochter tief bewegt von dem Leid der Maya-Bevölkerung. "Selbst einfachste Dinge fehlten, um selbst etwas zu bauen und zu reparieren. Ein paar Hühner, um sich selbst zu versorgen", erinnert sich Renana. Kaum sind sie zurück in Deutschland, sammeln sie Spenden für Schaufeln, Werkzeuge und Baumaterialien. Als kurz darauf Hurrikan Stan in Mittelamerika wütet und auch die Dörfer unter Schlammlawinen begräbt, die Eddy und Renana kurz zuvor besucht haben, ist für sie ganz klar, dass sie im größeren Stil helfen wollen. Getrieben von dem Wunsch, die Lebenssituation der indigenen Bevölkerung zu verbessern, gründet Eddy gemeinsam mit Freunden zwei Organisationen: Nuevo Dia e.V. in Deutschland und Hope Guatemala in Irland. Sie sammeln Spenden, helfen mit beim Wiederaufbau und knüpfen Kontakte zu Hilfsorganisationen vorort. Seitdem reist Eddy fast jährlich in Begleitung von Freunden oder eines seiner Kinder auf eigene Kosten nach Guatemala, um in Zusammenarbeit mit den lokalen Hilfsorganisationen SEFCA und ASECSA Guatemala Hilfsprojekte zu unterstützen. 

 


Selbsthilfe fördern

Während des Besuches ist Zeit für persönliche Gespräche mit Madre Pily, der Mitgründerin des Ernährungszentrums CERNE in Chimaltenango. Foto: Renana Dieckmann
 

Nuevo Dia und Hope Guatemala haben mit ihren Spendengeldern für Mayas, die in entlegenen Bergregionen leben und von Gesundheits- und Versorgungseinrichtungen abgeschnitten sind, schon viel erreicht, wie den Bau von Ernährungs- und Gesundheitshäusern "Casas de Salud" , Brunnen und Wasserleitungen, die tägliche Versorgung von Kindern verarmter Tagelöhner mit warmen Mahlzeiten, Schulbildung, Ausbildung und Studium vor allem für Mädchen und Frauen und vieles mehr.  "Wir schaffen in ausgewählten Gemeinden die Voraussetzung, dass die Mayas unabhängiger von Großgrundbesitzern werden, dass sie Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, dass Kinder gesundes Essen bekommen und zur Schule gehen können, dass Mädchen gefördert werden. Unsere Besuche bedeuten den Menschen dort unglaublich viel, weil sie sehen, dass sie nicht vergessen werden". Renanas Worte unterstreichen die Bedeutung der Arbeit von Hilfsorganisationen aus dem Ausland wie Nuevo Dia und Hope Guatemala.

 

Eine warme Mahlzeit für Kinder verarmter Plantagenarbeiter.

Fast 50 Prozent der Kinder in Guatemala leiden an chronischer Unterernährung. Besonders betroffen sind die Kinder der indigenen Bevölkerung. Madre Pily nimmt sich Zeit für jedes Kind, das ins Ernährungszentrum CERNE gebracht wird.
Fotos: Eddy Dieckman

Nur Bildung schafft nachhaltige Veränderung

Bei allen Projekten kristallisiert sich immer wieder ein zentraler Punkt heraus: Bildung ist der Schlüssel zu nachhaltiger Veränderung. "Nur durch Bildung können wir den Kreislauf der Armut und Unterdrückung durchbrechen," erklärt Eddy. "Es geht darum, den Maya-Kindern und -Jugendlichen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um ihre eigene Zukunft und die ihrer Gemeinschaften aktiv mitzugestalten." In vielen abgelegenen Dörfern ist der Zugang zu Bildung nach wie vor eine große Herausforderung. Oft müssen Kinder stundenlange Fußmärsche auf sich nehmen, um die nächste Schule zu erreichen. Viele Familien können sich die Kosten für Schulbücher, Uniformen und Schulmaterialien nicht leisten. "Wir sehen so viele Kinder und Jugendliche, die gerne lernen und eine Ausbildung machen würden. Sie brauchen doch eine Chance!", appelliert Renana.

Dank einer Patenschaft aus Deutschland konnte diese junge Frau zur Schule gehen und studieren. Heute bringt sie Frauen und Mädchen in ihrer Gemeinde lesen und schreiben bei. Foto: Renana Dieckmann


Schulpatenschaften helfen

Nuevo Dia hat deshalb ein Schulpatenschaftsprogramm ins Leben gerufen. "Wir möchten mehr Leute dazu animieren, eine Patenschaft von 25 Euro im Monat zu übernehmen. Damit kann ein Kind nicht nur zur Schule gehen, sondern erhält auch die notwendige Ausstattung." Die Auswirkungen sind beeindruckend: Kinder, die durch das Programm unterstützt werden, haben reale Chancen, weiterführende Schulen zu besuchen oder sogar zu studieren. Und das ist für alle vorteilhaft: für den jungen Menschen, dessen Familie und das Dorf. Bildung bedeutet auch, die reiche Kultur und das Wissen der Maya zu bewahren und weiterzugeben. Die ersten junge Menschen, die von Nuevo Dia unterstützt wurden, haben mittlerweile ein Universitätsstudium abgeschlossen. Manche kehren in ihre Dörfer zurück, um ihr Wissen weiterzugeben. "Das sind unsere Hoffnungsträger," sagt Eddy stolz. "Sie sind der lebende Beweis dafür, dass Bildung der Weg zu einer besseren Zukunft ist."
Für Nuevo Dia ist klar: Jede Investition in Bildung ist eine Investition in die Zukunft Guatemalas. "Wir rufen alle auf, Teil dieser Veränderung zu werden," sagt Eddy. "Mit jeder Schulpatenschaft geben wir einem Kind die Chance auf eine bessere Zukunft – und damit auch die Chance, Guatemala von innen heraus zu verändern."

Die historische Last

Um die gegenwärtige Situation der Maya zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte Guatemalas unerlässlich. Das Land blickt auf eine lange Geschichte der Unterdrückung und Diskriminierung der indigenen Bevölkerung zurück. Die Wurzeln reichen bis in die Kolonialzeit zurück, als die spanischen Eroberer die Maya ihrer Ländereien und Ressourcen beraubten. Nach der Unabhängigkeit 1821 änderte sich wenig an der Situation der Indigenen. Sie blieben unterdrückt und wurden oft als billige Arbeitskräfte auf den Plantagen der Großgrundbesitzer ausgebeutet. Der Höhepunkt der Gewalt gegen die Maya-Bevölkerung wurde während des guatemaltekischen Bürgerkriegs von 1960 bis 1996 erreicht. In dieser Zeit wurden schätzungsweise 200.000 Menschen getötet oder verschwanden spurlos, die Mehrheit von ihnen Maya. Die Regierung führte eine systematische Kampagne der "verbrannten Erde" durch, bei der ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden.

 

Dokumentarfilm von Til Fröhlich und Pia Janning:  "La Violencia - The untold truths of Guatemala"

Dokumentation des Leids: "La Violencia – The untold truths of Guatemala"

Der erschütternde Dokumentarfilm „La Violencia – The untold truths of Guatemala" von Til Fröhlich und Pia Janning zeigt die verschwiegene Realität der systematischen sexuellen Gewalt gegen indigene Frauen in Guatemala. Der bewaffnete Konflikt hat das Land 36 Jahre lang zerrissen. 2013 war Guatemala das erste Land weltweit, das einen ehemaligen Staatschef wegen Völkermords vor ein nationales Gericht stellte. Angeklagter war General Rios Montt. Er regierte während der brutalsten Periode des bewaffneten Konflikts, bekannt als „La Violencia“. Der Prozess wurde durch äußeren Druck der mächtigen Elite verzögert und gestört und brachte das Justizsystem an seine Grenzen. Der Film dokumentiert auch den Kampf mutiger Maya-Frauen für Gerechtigkeit und Veränderung. Er zeigt, wie sie trotz enormer Widerstände für ihre Rechte eintreten und versuchen, ihre Gemeinschaften zu transformieren. Das Thema der Gewalt gegen indigene Frauen wird nicht länger totgeschwiegen und der Druck auf die Regierung, endlich wirksame Maßnahmen zum Schutz der Frauen zu ergreifen, ist gestiegen.
Für Organisationen wie Nuevo Dia und Hope Guatemala hat der Film die Dringlichkeit ihrer Arbeit noch einmal unterstrichen. "Er zeigt, wie wichtig es ist, die Frauen zu stärken und ihnen eine Plattform zu geben," sagt Renana. "Unsere Projekte zielen darauf ab, Frauen wirtschaftlich unabhängiger zu machen und ihnen Zugang zu Bildung und rechtlicher Unterstützung zu verschaffen."

Die besondere Situation der Maya-Frauen

Maya-Frauen kämpfen nicht nur gegen die allgemeine Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, sondern auch gegen tief verwurzelte patriarchale Strukturen. Auf ihrer Reise trifft Renanain Santiago Sacatepéquez Frauen, die sich zu einer Kooperative zusammengeschlossen haben. "Bildung ist der Schlüssel zur Veränderung," sagen sie und unterrichten traditionelle Heilverfahren, ökologischen Ackerbau, Herstellung von Heilmitteln, nähen und vieles mehr. "Wir arbeiten hart daran, dass unsere Töchter zur Schule gehen können und eine Chance auf ein besseres Leben haben." Trotz der Widrigkeiten zeigen die Maya-Frauen eine bewundernswerte Entschlossenheit, ihre Gemeinschaften zu stärken und für ihre Rechte einzustehen.
 

Die politische Situation heute

Obwohl der Bürgerkrieg offiziell 1996 mit der Unterzeichnung eines Friedensabkommens endete, bleiben viele der grundlegenden Probleme bestehen. Die politische Landschaft Guatemalas ist nach wie vor von Korruption, Straflosigkeit und einer tiefen Kluft zwischen der wohlhabenden Elite und der verarmten Mehrheit geprägt. Die Versprechen des Friedensabkommens wurden größtenteils nicht eingehalten. "Die strukturelle Diskriminierung der indigenen Bevölkerung besteht fort, ebenso wie die extreme Ungleichheit bei Landbesitz und Ressourcenverteilung.", beklagt Eddy. "Deshalb möchten wir den Kauf von Land unterstützen. Wir haben zum Beispiel durch den Kauf eines 20.000 Quadratmeter großen Grundstücks in der Laguna Ixcoch 30 Familien ein neues Zuhause geben können plus Platz für den Bau einer Schule und eines Gesundheitshauses.

Die Arbeit von Nuevo Dia und Hope Guatemala

Angesichts der komplexen Herausforderungen konzentrieren sich Nuevo Dia und Hope Guatemala auf praktische nachhaltige Hilfen. "Wir arbeiten eng mit den lokalen Hilfsorganisationen und den betreffenden Gemeinden zusammen, um ihre dringendsten Probleme anzupacken," erklärt Eddy. "Oft geht es ja um grundlegende Dinge wie den Zugang zu sauberem Wasser, zu Nahrung, Bildung oder medizinischer Versorgung. "Es geht darum, die Menschen zu befähigen, ihre eigene Zukunft zu gestalten," betont Renana. "Unser größter Wunsch ist, dass wir auch in Zukunft, Menschen in Deutschland und Irland davon überzeugen können, Patenschaften für Kinder in Guatemala zu übernehmen." Eddy fügt hinzu: "Wir sind schließlich eine Welt. Der Zufall oder das Schicksal hat es so gewollt, dass wir uns für benachteiligte Mayas in Guatemala engagieren.Wir sehen, dass die Themen Gesundheit, Bildung und Hilfe zur Selbsthilfe Früchte tragen. Das motiviert uns, weiterzumachen. Und jeder Mensch kann mit seinen persönlichen Möglichkeiten dazu beitragen, diese Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Wo das dann ist, ist doch völlig egal - Hauptsache man macht es."

 

Weitere Informationen

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Buchtipp: "Die Kinder der Finca Florencia"

Hope Guatemala

Dokumentarfilm „La Violencia – The untold truths of Guatemala

Reisetagebuch von Renana Dieckmann auf "Polarsteps" 

 


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