"Hausmeister" im einsamen Paradies

 


Am westlichsten Zipfel Europas, vor Irlands zerklüfteter Küste, liegt eine kleine Inselgruppe im Atlantik, die sehr besonders ist: die Blasket-Islands. Über viele Jahrhunderte waren einige der kleinen Inseln bewohnt - ein archaisches entbehrungsreiches Leben inmitten der Naturgewalten. Auf der mit sechs Quadratkilometern größten von ihnen „An Blascaod Mór“ lebte bis in die 50er Jahre noch eine Dorfgemeinschaft. 1953 mussten auch die 22 verbliebenen Einwohner aufgrund der schwierigen Bedingungen die Insel verlassen. Heute stehen noch die Ruinen des einstigen Dorfes als stumme Zeugen der Vergangenheit. Fünf Cottages wurden im Laufe der vergangenen Jahre renoviert und für Besucher hergerichtet. Die Blasket Inseln sind mittlerweile zum Naturschutzgebiet erklärt worden und bieten einer vielfältigen Tierwelt Lebensraum. Die Große Blasket Insel zieht jedes Jahr tausende Besucher an. Tagesausflüge vom Festland aus sind nur bei gutem Wetter möglich. Ein besonderes Erlebnis ist die Übernachtung in einem der renovierten Cottages. Die Gäste erleben eine einzigartige Natur und tauchen in die faszinierende Geschichte dieses besonderen Ortes ein. 

Sechs Monate auf einer einsamen Insel

Jedes Jahr wird ein Paar gesucht, das sechs Monate lang als „Caretaker" auf der Great Blasket wohnt und arbeitet. Tausende Abenteuerlustige aus aller Welt bewerben sich für diesen Job als Hausmeister im Paradies ohne Strom und fließend Wasser. 2024 fiel die Wahl auf Emma und Darren aus Kildare/Irland. Beide sind im "normalen Leben" Lehrer auf einer weiterführenden Schule.

Im Interview berichten Emma und Darren über ihre Zeit auf der Great Blasket Island.

Warum habt Ihr Euch für den Caretaker-Job beworben?

Wir hatten den Sommer zuvor in einem Pub auf Inis Oírr gearbeitet, der kleinsten der Aran-Inseln. Die Nähe zum Meer und zur Natur gefielen uns unglaublich gut. Von der Möglichkeit als Hausmeister auf die Great Blasket zu gehen, hatten wir im Internet gelesen. Dann sind wir aber erst einmal den Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela gewandert und hatten viel Zeit, um über unsere Zukunft nachzudenken. Der Entschluss, uns für 2024 zu bewerben, war schnell gefallen. Aber weil sich jedes Jahr so viele Leute bewerben, waren wir nicht sehr hoffnungsvoll, dass es klappt. Es war eine totale Achterbahnfahrt der Gefühle, als wir die Nachricht bekamen, dass wir es sind. Wir konnten es erst gar nicht glauben.

Welche Aufgaben habt Ihr?

Vom 1. April bis zum 1. Oktober kümmern wir uns um die fünf restaurierten Cottages. Hier ist Platz für bis zu 21 Personen, die sich selbst versorgen. Zwischen 9 und 15 Uhr sind wir damit beschäftigt, die Gästehäuser zu putzen, im Café Tee und Kaffee zu kochen und ankommende Gäste willkommen zu heißen. Danach vergehen normalerweise ein oder zwei Stunden, in denen die Neuankömmlinge Hilfe beim Anzünden ihrer Feuer oder Tipps zur Erkundung der Insel benötigen. Wenn Tagestouristen ankommen, sind wir auch für sie Ansprechpartner. Ansonsten kümmern uns um alles, was anliegt wie reparieren, anstreichen, aufräumen oder auch Lämmer füttern.

Wie wohnt Ihr auf der Insel und wie werdet Ihr versorgt?

Wir haben ein Zimmer über dem Café und nutzen die Küche und Toiletten des Cafés. Es gibt einen Ofen, der abends angeheizt wird. Da wir keinen Strom haben, kochen wir mit Gas. Frische Wäsche wird uns vom Festland gebracht. Wenn es das Wetter zulässt, kommt auch jeden Tag eine Lebensmittellieferung mit dem Boot. In den arbeitsreicheren Monaten von Juni bis Ende August werden wir manchmal von ein oder zwei freiwillige Helfern unterstützt.

Wie sieht ein perfekter Tag aus?

Ein perfekter Tag für Übernachtungsgäste beginnt mit dem beruhigenden Klang der Wellen und den Rufen der Seevögel. Am Morgen gibt es einen geführten Spaziergang durch die Ruinen des historischen Dorfes, bei dem wir etwas über das reiche kulturelle und literarische Erbe der Insel erzählen. Mittags können die Gäste am Strand der Insel entspannen, die atemberaubende Aussicht auf die Dingle-Halbinsel genießen und nach Robben Ausschau halten. Der Nachmittag bietet Möglichkeiten für eine Wanderung zum höchsten Punkt der Insel mit Panoramablick oder für ein Bad im Meer unten am Pier. Nachdem die Gäste abends in ihren Cottages gegessen haben, können sie in Richtung Inis Tuisceart spazieren. Von dort hat man einen umwerfend schönen Blick auf den Sonnenuntergang , der den Himmel in leuchtende Farben taucht.

 Der Abend endet mit Geschichtenerzählen oder Musik am Lagerfeuer oder gemütlich im Cottage am Ofenfeuer. Wenn der Himmel wolkenlos ist, bietet sich den Gästen ein wundervolles Sternenschauspiel im Mondlicht. Sie können dem Gesang der Seehunde und dem Rufen der Schwarzschnabel-Sturmtaucher lauschen, die sich auf dem Hügel zur Nachtruhe niederlassen.

Das hört sich ja erst einmal nach einem gemütlichen Leben an. Aber das ist sicherlich nicht jeden Tag so:

Stimmt. Wenn die Sonne scheint und das Meer ruhig ist, haben wir hier den Himmel auf Erden. Doch es kann auch sein, dass wir tage- oder wochenlang total abgeschnitten sind. Ohne die Annehmlichkeiten von Strom- und Wasserleitungen ist jeder Tag ein kleines Abenteuer. Und wenn bei guten Wetterverhältnissen mehrere Boote mit vielen Gästen anlanden, kann es auch stressig werden. 
Als wir am 1. April ankamen, hatten wir nur drei Tage Zeit, bevor Sturm Kathleen über uns hinwegfegte und wir 14 Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten waren. Wir wurden wirklich ins kalte Wasser geworfen! Die ersten zwei Tage waren sehr nass und windig, und das Meer tobte um uns herum. Riesige Wellen krachten gegen die kleine Insel „Beginish“. Nachts dachten wir, das Dach fliegt uns weg. Wir waren jedoch voller Zuversicht. Schließlich hatten die einstigen Inselbewohner bestimmt weitaus schlimmere Stürme erlebt. Wir machten uns ein warmes Ofenfeuer und warteten, dass es vorbei geht.

Es hat während der Saison ja noch weitere unruhige Seetage ohne Besucher gegeben. Was passiert dann mit den Buchungen der Übernachtungsgäste?

Billy und Alice, die die Vermietungen und Überfahrten organisieren, haben die Seeverhältnisse immer im Blick und informieren die Gäste rechtzeitig. Dann erhalten sie ihr Geld zurück oder es werden, wenn möglich, alternative Tage angeboten.

Wie verbringt Ihr die Tage ohne Gäste?

Es gibt immer was zu tun. Wenn alles erledigt ist, lesen wir, spielen Brett- oder Kartenspiele. Aber weil das Wetter hier auch bei rauer See oftmals sonnig und schön ist, können wir über die Insel streifen und die Natur genießen, Kegelrobben am Strand beobachten, Kaninchen und Schafen beim Grasen zusehen, staunen wie Austernfischer und Tölpel Fische aus dem Meer holen. Oder wir nutzen die viele Zeit, mal bis ans Inselende zu wandern, was locker 4 Stunden dauert, weil die Insel trügerisch lang ist. Man denkt, man sei ganz am Ende, aber dann muss man noch einen Hügel hinuntergehen oder über einige Felsen klettern! Überall blüht es wunderschön und man hat einen grandiosen Blick auf die anderen kleineren Blasket Inseln. Wir gehen auch gerne unten am Pier schwimmen. Dort ist es geschützt und an einem sonnigen Tag ist es traumhaft. Es gibt nichts Schönere, als sich danach in einen trockenen Bademantel zu hüllen und mit heißen Tee aufs Meer zu schauen.

Was wusstet Ihr über die Geschichte der Blasket-Inseln?


Wir hatten, wie die meisten Iren, von der berühmten Geschichtenerzählerin Peig Sayers gehört. Die älteren Generationen haben sogar ihre Memoiren „Peig“ in der Schule gelesen. Das literarische Erbe der Insel ist ja durch eine ganze Reihe von Büchern bekannt, in denen Bewohnerinnen und Bewohner von der einzigartigen Kultur, der Sprache und den Lebensbedingungen berichten. „The Islander“ von Tomás O’Criomhthain und „Twenty Years A-Growing“ von Muiris Ó Súilleabháin haben wir dann während unserer Zeit auf der Insel gelesen. Die Geschichten, die so unmittelbar über die traditionelle Lebens- und Arbeitsweise der Inselbewohner berichten, über die harten Bedingungen der Selbstversorgung, über ihre persönlichen Schicksale, die Sorgen, Nöte, aber auch Freuden - diese Bücher haben uns ein Gefühl für das Leben hier gegeben.


Was war die größte Herausforderung für Euch und woran seid Ihr persönlich gewachsen?

Da die Saison sechs Monate dauert, fiel es uns natürlich manchmal schwer, von Familie und Freunden getrennt zu sein, vor allem wenn wir Anlässe wie die Kommunion einer Nichte oder die Geburt eines Neffen verpassten. Aber wir hatten viel Besuch und es war wunderbar, das alles hier mit ihnen teilen zu können. Manche würden sagen, das raue und unberechenbare Wetter mit seinen tosenden Wellen und heftigen Winden wäre eine Herausforderung, aber wir haben es genossen, die mächtigen Kräfte der Natur erleben zu dürfen. Der Himmel bei Regen und Sturm, dabei die aufgewühlte See - das alles ist eine raue, majestätische Schönheit, die einen krasser Kontrast zu den wolkenlosen Tagen bildet, an denen Himmel und Meer in den  unterschiedlichsten Blautönen strahlen und die malerische Landschaft in sanftes Sonnenlicht getaucht ist. Dieser Kontrast zwischen Dramatik und Frieden ist beeindruckend zu erleben.

Als wir diesen Job antraten, dachten wir außerdem, dass unsere größte Herausforderung darin bestehen könnte, über einen so langen Zeitraum so eng zusammenzusein. Aber wir haben festgestellt, dass diese Erfahrung uns einander näher gebracht hat. Wir wissen nun, dass wir uns aufeinander verlassen können und dass wir ein großartiges Team sind. Es war auch interessant, unsere unterschiedlichen Stärken zu erkennen und die Aufgaben entsprechend zu organisieren. Es war außerdem sehr besonders, über viele Tage die einzigen zwei Menschen auf einer Insel zu sein.


Was war das emotionalste Erlebnis für Euch?

Der schönste Moment auf der Insel war für uns die Nacht der Nordlichter. Sie war magisch. Wir konnten unser Glück kaum fassen. Der Himmel leuchtete in allen Farben. Es fühlte sich an, als würde die Natur eine private Show nur für uns veranstalten. Da es keine Lichtverschmutzung gab, war die Insel der perfekte Ort, um das zu erleben. Die schimmernden Lichter der Aurora vor der zerklüfteten Insel-Landschaft war ein atemberaubendes Schauspiel – heiter und surreal zugleich. Es war ein seltener und unvergesslicher Anblick.

 

Was nehmt Ihr für Euch persönlich mit zurück in Euer „normales“ Leben?

Wir sind davon überzeugt, dass die Isolation und Unberechenbarkeit der Natur unsere Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit gestärkt hat. Das Gefühl mit der Natur und der Tierwelt verbunden zu sein, ist intensiver als zuvor. Wir können nun besser mit Unvorhersehbarem umgehen und Unsicherheiten akzeptieren. Diese Erfahrung, in einer einzigartigen, oft intensiven Umgebung zu leben und zu arbeiten, hat bleibende Erinnerungen geschaffen. Wir haben auch gelernt, Einsamkeit zu genießen und finden Frieden und Klarheit in Momenten der Ruhe, fernab von den Ablenkungen des modernen Lebens.

Wie sind Eure Pläne für die Zeit danach?

Wir werden erst einmal Zeit mit unseren Familien und Freunden verbringen. Bevor wir wieder als Lehrer an die Schule zurückkehren, möchten wir noch ein oder zwei Abenteuer erleben. Vielleicht reisen wir mit unserem kleinen Wohnmobil durch Europa.

Fotos: Emma Melay, Darren Mc Fadden

Informationen über die Bewerbung für den Job als Caretaker 2025 gibt's hier. https://www.greatblasketisland.net 

Vis à vis der Great Blasket Insel gibt es auf dem Festland das beeindruckende und architektonisch bemerkenswerte Blasket-Center.
Zum Artikel: Ein Erlebnis - The Blasket Islands Experience

Weitere Informationsquellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Blasket_Islands

Maurice O'Sullivan: Das Meer ist voll der schönsten Dinge - Eine irische Lebensgeschichte, Lamuv-Verlag, 2000.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Eine Reise, die alles veränderte

hellwach. Die neue ahoi! norderney