Happy End mit Wildtierkamera und Socke



Sechs Tage und Nächte ist Merlin verschwunden. Nach dem Spaziergang haben sie ihn abgeleint  - die Haustür stand noch offen. So schnell wie der Hund aus dem Haus huscht, kommt niemand hinterher. Die Sekunde Unachtsamkeit versetzt über 20 Leute sechs Tage lang in Aufregung. Merlins Geschichte steht stellvertretend für viele Hunde aus dem Tierschutz. Und weil die Gefahr des Weglaufens in den ersten Wochen mit dem neuen Mitbewohner sehr groß ist, soll Merlins Fall zeigen, worauf zu achten ist.

Kurz zur Vorgeschichte

Merlin kommt aus Rumänien und wird als Junghund von der Tierheimleiterin des „Bruno Shelters“ in der Nähe von Bukarest aufgesammelt. Wahrscheinlich wurde er als Welpe im Wald ausgesetzt. Dass Tierschützerin Elli Auffangstation und häufig die letzte Rettung für Welpen, streunende, trächtige, alte und kranke Tiere ist, hat sich in der Region herumgesprochen. An die hundert Tiere werden von ihr und ein paar Helfer*innen versorgt. Manche Tiere sind nur für ein paar Wochen bis zur Vermittlung dort, andere ihr Leben lang. Neben ihrer eigentlichen Arbeit, führt Elli ihr Tierheim ehrenamtlich aus Spendengeldern, organisiert Kastrationen und arbeitet für die Vermittlung nach Deutschland mit dem Verein Bruno Tierhilfe e. V. zusammen. Für Neuzugänge werden immer Paten gesucht, die die Futterkosten in Höhe von 20 bis 30 € pro Monat übernehmen. Sie dürfen ihrem "Patenkind" auch einen Namen geben.

Die Pflegestelle - ein Zuhause auf Zeit

Meistens kommen Hunde und Katzen zunächst auf Pflegestellen nach Deutschland. Hundererfahrene Menschen nehmen ein Tier bei sich auf, um es an das neue Leben zu gewöhnen, bis sich passende Interessenten finden und Kontakt zur Pflegestelle aufnehmen. Im Frühjahr 2024 kommt Merlin auf seine Pflegestelle nach Münster zu Christiane und Bert. Das Paar hat einen eigenen Hund und nimmt regelmäßig einen Hund aus dem Bruno Shelter auf. Christiane ist Hundetrainerin und kennt sich mit den Besonderheiten und Herausforderungen von Hunden aus dem Tierschutz aus. „Anfangs ist ihnen alles zuviel. Sie brauchen viel Ruhe, um die lange Reise und die neue Umgebung zu verarbeiten. Was für uns als Pflegestelle das Allerwichtigste ist: Wir müssen diesen Hunden ganz viel Sicherheit, Klarheit und Zuverlässigkeit vermitteln. Wenn wir den Eindruck haben, dass der Hund sich wohler fühlt und zutraulicher wird, beginnen wir mit den ersten Schritten in Richtung Stubenreinheit und Kommunikation. Alles spielerisch mit sehr viel Lob und Belohnung.“ erklärt Christiane. „Es ist jedes Mal wieder faszinierend, wie schnell die Tiere aufblühen, wenn sie merken, dass keine Gefahr mehr droht“. 

Musterschüler Merlin

Merlin ist von Anfang an ein superfreundlicher, zutraulicher und gelehriger Hund. Bereits nach wenigen Tagen gehorcht er auf Sitz und Bleib, ist stubenrein, hört auf seinen Namen - kurzum: Er ist ein Traumhund. Natürlich hat aber auch er kleine Baustellen: einen starken Jagdtrieb und Angst vor Männern. 

 


Für diesen liebenswerten und verspielten Rüden gibt es nach wenigen Wochen Interessenten. Eine Familie scheint zu passen. Die Kennenlernbesuche zum gegenseitigen Beschnuppern laufen gut und nach dem vierten Treffen steht fest: Merlin darf umziehen.

Missglückter Start im neuen Zuhause

Die ersten Tage sind die schwierigsten. Da wieder alles neu ist, haben diese Hunde den Drang wegzulaufen. Bei jedem Treffen insistiert Christiane darauf, das Thema Hundesicherung extrem ernst zu nehmen: „Die neuen Halter müssen den Hund immer im Auge behalten, viel Ruhe geben und ganz langsam an die neue Umgebung gewöhnen. Die ersten Wochen erfordern nicht nur viel Zeit, Geduld und Liebe, sondern das Allerwichtigste sind ein paar Vorsichtsmaßnahmen. Denn in Sekundenschnelle kann ein Tierheimhund sich in Momenten erschrecken, die wir gar nicht als Gefahr sehen, für den Hund aber Grund genug sind, in Panik zu geraten und sich aus dem Geschirr zu winden. Eine doppelte Leine mit Sicherheitsgeschirr ist deshalb Pflicht. Auch ein Tracker ist empfehlenswert, um das Tier orten zu können, wenn es dann doch mal wegläuft.“
Doch zurück zu Merlins Abenteuer: Nachdem er weggelaufen ist, irrt er durch die Wohnsiedlung und Münsters Süden. Leider haben die neuen Halter keine Ahnung, was in solch einem Fall zu tun ist. Anstatt die Pflegestelle zu informieren, suchen sie ein paar Stunden alleine. Sie finden ihn auch und versuchen ihn zu packen, was man immer vermeiden sollte, weil es zwecklos ist und nur dazu führt, dass der Hund noch weiter wegrennt. Wertvolle Zeit verstreicht. In den ersten zwei Stunden nach dem Verschwinden ist die Chance noch hoch, den Hund zurückzulocken. Doch es ist Winter und bereits am späten Nachmittag dunkel. Einen schwarzen Hund ohne Leuchthalsband auf der Flucht zu finden ist ein unmögliches Unterfangen.

Foto: Julia Schick

Merlin stört den Zugverkehr

Nachdem die Familie Merlins „Pflegestelle“ informiert, läuft eine große Suchaktion an. Über 20 Personen helfen beim Plakate verteilen und bei der Nachrichtenverbreitung über die Sozialen Medien, Lokalpresse und Tierschutzstellen. Merlin wird immer wieder in der Nähe und auf den Bahngleisen gesehen, läuft sogar bis in den Münsteraner Hauptbahnhof. Züge werden gestoppt oder dürfen nicht losfahren, solange sich der Hund auf dem Gleisbett herumtreibt. Bald rückt die Bundespolizei an und verschreckt ihn vollends. Tagelang wird er nicht mehr gesehen. Merlin ist im Überlebensmodus: Menschen und Hunde meiden, irgendwo Nahrung und ein sicheres Versteck finden.

Rettung: Wildtierkamera und Socke

Sechs Tage vergehen, bis jemand von der Katzenhilfe über Facebook von Merlins Fall erfährt und eine Wildtierkamera zur Verfügung stellt. Sie wird in der Nähe der Gleise angebracht, wo der Hund zuletzt gesichtet wurde. Christiane zieht ihre Socken aus und legt sie neben eine Portion Fleisch. Nach ein paar Stunden, es dämmert bereits, kommt ein Signal aufs Handy. Merlin ist da. Es hat die Fährte aufgenommen. Christiane eilt zu der Stelle und sieht den Hund auf ihren Socken liegen. Sie ruft ihn leise, aber er schreckt hoch, springt auf das Gleisbett und in dem Moment donnert ein Zug vorbei. Schock. Als der Zug weg ist, erkennt der Hund endlich die Person mit dem vertrauten Geruch. Dahin will er zurück, läuft hin, freut sich und lässt sich anleinen.
Happy End!
Nach dieser Odyssee ist Merlin noch skeptischer gegenüber fremden Menschen und Hunden. Christiane und Bert geben ihm die Zeit, die er braucht, um sich von diesem Abenteuer zu erholen, auf das alle gerne verzichtet hätten. Seine Pflegestelle ist nun sein Fürimmer-Zuhause. Auch das kann passieren, wenn man sich entscheidet, Pflegestelle für Tierheimhunde zu werden.

Was tun, wenn der Hund weg ist?

Wenn ein Hund entlaufen ist, verfällt man schnell in Panik. Deshalb hier ein paar hilfreiche Tipps:  


  1. Ruhe bewahren und so lange wie möglich am Ort des VERSCHWINDENS bleiben. Die meisten Hunde kommen innerhalb der ersten 48h zurück zu diesem Ort oder laufen nach Hause. Kannst du dort nicht bleiben, lege ein vertrautes Kleidungsstück an diese Stelle. Richte zusätzlich eine Futterstelle ein. Wichtig: Dies betrifft auch Hunde, die gerade erst neu in ihr Zuhause eingezogen sind!

  2. Wende dich umgehend an ein Sicherungsteam in deiner Umgebung. Die Teams stehen deutschlandweit miteinander in Kontakt und vermitteln ggf. weiter, beraten und unterstützen.

  3. Informiere Polizei, Tierheime, Tierärzte/-kliniken, Jäger und hinterlege eine 24h erreichbare Telefonnummer. Melde deinen Hund bei Tasso.net und/oder Findefix.com als vermisst. Eine Registrierung ist jederzeit möglich und kann auch ohne Chipnummer erfolgen.

  4. Bitte Passanten die Augen offen zu halten und dich zu kontaktieren, falls dein Hund gesichtet wird. Hinterlasse auch hier deine Telefonnummer. Fremde Personen sollten nicht aktiv nach dem Hund suchen und schon gar nicht versuchen, ihn einzufangen. Das bewirkt das Gegenteil, denn der Hund wird damit aus dem vertrauten Gebiet wegrennen.

  5.  Ermögliche dem Hund zu Hause den Zugang (Tag und Nacht). Bestmöglich durch eine weitere Person bzw. sofern dies nicht möglich ist, berücksichtige Punkt 2.

  6.  Errichte zu Hause eine Futterstelle, falls du nicht die Möglichkeit hast, den Zugang über Nacht zu ermöglichen. Bitte überwache die Stelle zum Beispiel mit einer Wildtierkamera oder nutze Spielsand. Diesen bitte 1,5 m vollständig auslegen und stark riechendes Futter mittig platzieren.

  7. Erstelle ein Plakat mit einer 24h erreichbaren Telefonnummer und einem Foto deines Hundes. Drucke mindestens 50 Plakate aus, hänge sie aus und verbreite es über die sozialen Medien. Bitten beim Verteilen Freunde, Nachbarn oder nette Helfer um Unterstützung. Es wird ein Umkreis von ca. 5 Kilometern empfohlen.

(Hinweis zum Foto: Normalerweise ist natürlich unter dem Foto die Telefonnummer angegeben.)

Wichtig: Die aufgeführten Maßnahmen ersetzen nicht die Kontaktaufnahme zu einem Sicherungsteam. Jeder Fall ist individuell und kann von den o.g. Punkten abweichen. Dies betrifft zum Beispiel Welpen, ältere Hunde, Hunde, die auf lebensnotwendige Medikamente angewiesen sind sowie Hunde, die mit Leine entlaufen sind.

Ausführliche Tipps, hilfreiche Adressen und Unterstützung:

Tierschutzvereine

Tierschutzbund Findefix.com

TASSO-Notrufzentrale +49 6190 937300 und Tasso.de

Sicherungsteams sind z. B.:

  • Hundesicherung Bremen & Umgebung TEL: 0152 - 08497102
  • Hundesuchhilfe OS, ST und Umgebung E-Mail: Hundesuchhilfe_OS_ST@gmx.de
  • Lilly Spürnase / Pettrailer Nordwest TEL: 0170 - 3005588

Informationsquelle: Hundesicherung Bremen

 

Fotos: Julia Schick (Foto 1, 4, 5) Bert Höss (Foto 2,3)






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